Nationalpark Ostsee: Konsultation im Unkonkreten

Nationalpark OstseeKonsultation im Unkonkreten

Der Kreis Ostholstein hatte zu einer öffentlichen Informationsveranstaltung am 22. Mai zum Nationalpark Ostsee eingeladen. Auch der schleswig-holsteinische Umweltminister Tobias Goldschmidt nutzte die Gelegenheit, um erneut für den Nationalpark im Ostseeraum zu werben. Mögliche Regelungen, die Anwohner und Urlauber dann erwarten dürften, kamen auch auf den Tisch.

von Sven Block
Der Kreis Ostholstein ist mit seiner langen Küstenlinie besonders stark von den Nationalparkplänen der Landesregierung betroffen. Um den Dialog und den fachlichen Austausch voranzutreiben, hat der Kreis zu einer öffentlichen Informationsveranstaltung eingeladen, der auch Tobias Goldschmidt zusammen mit Referentin Franziska Junge und Referatsleiter Manfred Bohlen von Bündnis 90/Die Grünen folgte. Wie Regelungen in einem zukünftigen Nationalpark Ostsee für die Strandnutzung, das Segeln, Surfen, Kiten, Fischen, Campen und die Landwirtschaft aussehen könnten, wurde dabei ebenfalls konkretisiert, auch wenn es sich hierbei weiterhin nur um „mögliche“ Regelungen handeln könne.

Gut zwei Stunden nahm Tobias Goldschmidt sich Zeit, um den von der Landesregierung geplanten Nationalpark Ostsee im Ostholstein-Saal in Eutin zu erläutern und auf die Fragen der anwesenden Gäste einzugehen. Das Publikum war dabei ebenso breit gemischt wie die Themen, die angesprochen wurden. Unter anderen hatten sich Wolfgang Jensen, ehemaliger Mitarbeiter beim Landesbetrieb für Küstenschutz und Nationalpark, Jürgen Leicher, Beisitzer im BUND-Landesvorstand, Bettina Schäfer, Bürgermeisterin von Scharbeutz, Christin Voß, Bürgermeisterin der Gemeinde Wangels, aber auch Klaus Brandenburg, Angelroutenführer auf Fehmarn, im Sitzungssaal eingefunden. Obwohl die Liveübertragung im Internet nur recht kurzfristig über einige lokale Medien angekündigt wurde, verfolgten auch zeitweise bis zu 75 Zuschauer dem Vortrag und der anschließenden Diskussion.
Nationalpark Ostsee: Konsultation im Unkonkreten
Nationalpark Ostsee: Konsultation im Unkonkreten
Nationalpark Ostsee: Konsultation im Unkonkreten
„Die Menschen können nicht erkennen, warum das gemacht werden muss“, hieß es in der Eröffnungsrede von Landrat Reinhard Sager, womit er Tobias Goldschmidt die Gelegenheit gab, erneut für den Nationalpark Ostsee zu werben und mit einer fachlichen Herleitung und Prämissen zu verdeutlichen, warum eine Umsetzung eines Nationalparks auch für den Ostseeraum sinnvoll sein könnte.

Tobias Goldschmidt betonte dabei, dass der Nationalpark ein mögliches Instrument zum Schutz der Ostsee sei und er die Aufgabe als Prüfauftrag verstehe, reklamierte aber abermals die endgültige Entscheidungsfindung zur Umsetzung des Vorhabens im Kabinett. „Am Ende entscheiden nicht die Bürgerinnen und Bürger im Land, sondern die repräsentative Demokratie“, so Tobias Goldschmidt 1). Auch dass es einen Konflikt zwischen politischem Wollen und dem jetzt eröffneten Diskussionsprozess gäbe, sprach er offen an.

Drei grundsätzliche Maßnahmen, so Tobias Goldschmidt, seien notwendig, um den schlechten Zustand der Ostsee zu verbessern und das stark angeschlagene Ökosystem der Ostsee zu stabilisieren:

  • Reduzierung der Einträge von Nährstoffen, Schadstoffen und Müll
  • Räumung von Munition
  • Gebietsbezogener Schutz

Um den gebietsbezogenen Schutz zu intensivieren, wurden die bereits bestehenden Schutzzonen an der Ostsee identifiziert und zu einer Potentialkulisse für einen Nationalpark Ostsee zusammengeführt. In den sogenannten Kernzonen eines Nationalparks soll natürlichen und dynamischen Abläufen der Natur langfristig der Vorrang eingeräumt werden. Die entstehende Wildnis soll neben dem Schutz der Arten- und Biotopvielfalt allenfalls Platz für wissenschaftliche Umweltbeobachtungen, Umweltbildung und Naturerlebnis bieten, sofern diese mit den Schutzzielen zu vereinbaren sind 2).
Nationalpark Ostsee: Konsultation im Unkonkreten
Nationalpark Ostsee: Konsultation im Unkonkreten
Nationalpark Ostsee: Konsultation im Unkonkreten
„Was passiert hier bei mir an der Küste?“, wollte Christin Voß, Bürgermeisterin der Gemeinde Wangels, wissen und dem Umweltminister eine Antwort entlocken, welche Kernzonen denn konkret geplant seien, aber der gestand ein, dass man fachlich noch nicht bereit sei Kernzonen festzulegen. Zwischenergebnisse hierzu lägen bislang nur in Teilen vor. Nur dass sie aus Naturschutzgründen identifiziert werden müssten, stehe fest, nicht wo.

Neben dem Nutzen für Flora und Fauna sieht Tobias Goldschmidt auch ökonomische Chancen in einem Nationalpark Ostsee. So könne ein Nationalpark z.B. auch Touristen außerhalb der Saison anziehen. Dass „Gäste vorrangig wegen der Naturerfahrung kommen und nicht wegen der Möglichkeiten des Konsums“ 3), müssen auch Studien eingestehen, die die positiven regionalökonomischen Effekte von Nationalparks ausdrücklich hervorheben. Auch hier gilt, dass ein Nationalpark „als touristische Attraktion (..) erst dann Erfolg haben (kann), wenn auch die Region und sämtliche ihrer Akteure dahinter stehen“ 4), schreibt Karl Friedrich Sinner, ehemaliger Leiter der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald. Ob sich wettbewerbsfähige, am Nationalpark orientierte Strukturen im Naturtourismus per Kabinettsbeschluss verordnen lassen, wenn Politik und Bevölkerung nicht an einem Strang ziehen, darf bezweifelt werden.

Auch warum es so häufig „grundsätzlich“ hieße und kein Klartext geredet werde, wollte ein anwesender Gast von Tobias Goldschmidt wissen, was dieser mit den anstehenden Konsultationsprozess beantwortete, der zurzeit keine verbindlichen Antworten zuließe. Daher bleiben auch die Einschränkungen zunächst vage und so referierte Manfred Bohlen auch nur zu den möglichen Regelungen, die die Anwohner und Urlauber an der Ostsee zu erwarten haben. In der Präsentation wurden folgende Szenarien vorgestellt bzw. Fragen wie folgt beantwortet.

Mögliche Regelungen


Können die Badestrände weiter genutzt werden?
  • Die Potentialkulisse umfasst nur einige Strandbereiche, die schon jetzt unter Naturschutz stehen (ansonsten i.d.R. 50 m Abstand vor der Küste)!
  • Baden auch in der Kernzone grundsätzlich möglich.
  • Mögliche Regelungen: Brutvogel-Schutzbereiche an einzelnen Strandabschnitten während der Brutzeit.

Kann im Nationalpark gesegelt werden?
  • Häfen sind nicht Teil der Potentialkulisse, Zufahrten bleiben zugänglich und können wie bisher unter unterhalten werden.
  • Segeln auch in der Kernzone grundsätzlich möglich.
  • Befahrensregelungen nur über Befahrens-Verordnung des Bundes möglich (auf Antrag des Landes).
  • Mögliche Regelungen: kein Befahren von Rastvogelschwerpunkten im Spätherbst / Winter; kein Ankern in Seegraswiesen, stattdessen Angebot von Moorings in Abstimmung mit den Seglern.

Kann in Nationalpark gesurft und gekitet werden?
  • In einem Nationalpark soll es auch weiterhin großräumige Möglichkeiten zum Surfen und Kiten geben.
  • Mögliche Regelungen: kein Befahren von Rastvogelschwerpunkten im Spätherbst / Winter (über BefVO); kein Starten / Anlanden in sensiblen Küstenbereichen (letzteres überwiegend bereits geregelt).

Kann Fischerei im Nationalpark Ostsee stattfinden?
  • In der Kernzone keine Fischerei (schrittweise Einstellung mit Übergangsfristen).
  • Außerhalb der Kernzone ist eine nachhaltige Fischerei dauerhaft möglich.

Können Campingplätze noch genutzt werden?
  • Vorhandene Campingplätze liegen außerhalb der Potentialkulisse.
  • Campingplatznutzung kann weiterhin stattfinden.

Wird die Landwirtschaft durch eine Pufferzone an Land eingeschränkt?
  • Landseitig sind in die Potentialkulisse nur ausgewählte, bereits geschützte Bereiche einbezogen.
  • Ein landseitiger „Pufferstreifen“ mit Einbeziehung umfangreicher landwirtschaftlicher Flächen ist nicht vorgesehen.

Ob es einen Nationalpark Light in diesem Sinne langfristig geben wird, ist nicht zu erwarten. Auch Tobias Goldschmidt machte keinen Hehl daraus, dass in Entwicklungsnationalparken Nutzungsmöglichkeiten schrittweise reduziert werden könnten. Wie in unserem Artikel Nationalpark Ostsee - Unmut der Bevölkerung zeigt erste Wirkungen bereits beschrieben, sind die Transformationsprozesse in einem Nationalpark zum Teil auf Jahrzehnte angelegt.

Auch an diesem Abend ließ Tobias Goldschmidt die Teilnehmer mit vielen Fragen und Bedenken zurück. Lediglich Jürgen Leicher vom BUND plädierte dafür, dem Nationalpark Ostsee eine Chance einzuräumen und erntete dafür als einziger in der Runde keinen Applaus. Vor allem, so gab Wolfgang Jensen zu Bedenken, käme der Mensch und seine Sorgen bei den Überlegungen des Umweltministeriums zu kurz.

Das Ministerium hat gestern auch die Termine für die Fachworkshops mit den Interessengruppen bekannt gegeben. Insgesamt wurden Einladungen zu sieben verschiedenen Workshops versandt, die im Zeitraum von Mitte Juni bis Ende September an unterschiedlichen Orten in Schleswig-Holstein stattfinden werden. Die Fachworkshops finden zu folgenden Themen und Terminen statt:

  • 13.06.2023, Scharbeutz: Workshop Landwirtschaft/Wasserwirtschaft
  • 27.06.2023, Lübeck: Workshop Tourismus
  • 30.06.2023, Kiel: Workshop Fischerei
  • 11.07.2023, Kiel: Workshop Wassersport
  • 30.08.2023, Neumünster: Workshop Naturschutz
  • 12.09.2023, Scharbeutz: Workshop Regionalentwicklung
  • 19.09.2023, Neumünster: Workshop Kommunen

Fotos: Frithjof Blaasch (bulgenslag.de), bsp Media, Fabian Grundmann

1) Vgl. Wood, Geneviève und Steinlein, Stephan, Was für den Nationalpark spricht - was dagegen, Hamburger Abendblatt, 03.04.2023
2) BUND, Nationalparks: Natur Natur sein lassen
3) Sinner, Karl Friedrich et al., Der Nationalpark Bayerischer Wald als regionaler Wirtschaftsfaktor, Berichte aus dem Nationalpark Heft 4/2008, S. 12
4) Ebd. S. 19

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